
Nach einer in der Geschichte des Landes beispiellosen Mobilisierung gegen einen Rechtsruck haben ersten Ergebnissen zufolge rund 82 Prozent für Chirac gestimmt und 18 Prozent für Le Pen. Chirac hat seit Jahrzehnten wichtige politische Ämter inne - er war Minister, Ministerpräsident und Bürgermeister der Metropole Paris. Seit 1981 hatte er sich insgesamt viermal um das höchste Amt im Staat beworben. Zum Präsidenten wurde er erstmals 1995 gewählt.
Der sozialistische Ministerpräsident Lionel Jospin, der in der ersten Wahlrunde ausgeschieden war, hat bereits seinen Rückzug aus der Politik angekündigt.
Le Pen warf Chirac unmittelbar nach Schließung der Wahllokale vor, die Abstimmung mit "sowjetischen Methoden" gewonnen zu haben. Die "morbide Allianz", die ihm zum Sieg verholfen habe, werde schon bald zerfallen, sagte er.
Zur Wahl Chiracs hatten fast alle Parteien aufgerufen, um Le Pen als Präsident zu verhindern, nachdem der sozialistische Ministerpräsident Jospin dem Rechtsextremisten überraschend in der ersten Runde unterlegen war. Um Le Pen zu stoppen, riefen Gewerkschaften, Kirchen, Kommunisten, Grüne und kleinere linke Parteien zur Stimmabgabe für Chirac auf, der bis zur ersten Wahlrunde durch zahlreiche Korruptionsvorwürfe als angeschlagen galt.
Hunderttausende Menschen waren in den vergangenen beiden Wochen beinahe täglich in vielen Städten des Landes auf die Straßen gegangen, um gegen Le Pen zu demonstrieren. Allein in Paris versammelten sich bei einer Demonstration mehr als eine Million Menschen. Mit dem Motto "Wählt den Gauner, nicht den Verbrecher", brachten viele Linke ihren Widerwillen über die "erzwungene" Unterstützung für Chirac zum Ausdruck. Während die Demonstrationen fast ausschließlich von der Linken organisiert waren, hatten sich die bürgerlichen Parteien und auch Chiracs Bewegung Rassemblement pour la Republique (Versammlung für die Republik, RPR) mit öffentlichen Protesten zurückgehalten.
Auch die Medien des Landes hatten aufgerufen, Chirac zu wählen. Die linksliberale "Liberation", die am Tag nach der ersten Runde mit der riesigen Schlagzeile "Nein" erschienen war, titelte nun über einem Wahlzettel für Chirac: "Ja". Der rechte "Figaro" rief unter der Überschrift "Für Frankreich" zur Wahl Chiracs auf. Auch zahlreiche Prominente, etwa Fußballstar Zinedine Zidane empfahlen die Wahl Chiracs.
Der 73-jährige Le Pen ist seit Jahrzehnten Kristallisationsfigur der extremen Rechten in Frankreich. In Anspielung auf seine Äußerung, der millionenfache Mord an den europäischen Juden im Faschismus sei nur "ein Detail der Geschichte", hatten Demonstranten in den vergangenen beiden Wochen immer wieder Plakate mit Fotos in Konzentrationslagern ermordeter Menschen durch die Straßen getragen. "Ein Detail?", oder - in Anspielung auf sein Ergebnis in der ersten Runde - "Le Pen, Stärke 17 auf der Hitler-Skala", lauteten Transparentaufschriften.
Le Pen, der seine Partei Front National 1972 gegründet hatte, setzte in seinen Wahlkämpfen stets auf Fremdenhass und versuchte darüber hinaus, die Angst vor wachsender Kriminalität und einem geeinten Europa für sich zu nutzen. Nach der ersten Runde der Präsidentenwahl kündigte er für den Fall seines Sieges einen Austritt Frankreichs aus der Europäischen Union an. Wegen antisemitischer Stimmungsmache wurde seine Immunität als Europaabgeordneter mehrfach aufgehoben.