Frankreich brennt

Für alle Themen, die mit Frankreich in Zusammenhang stehen und die in keines der anderen Foren passen.
petilui
Beiträge: 183
Registriert: Montag 3. Januar 2005, 07:34

Mittwoch 9. November 2005, 15:08

Na ja, wenn schon so ein elitärer Bürger "sans Gene"( sagt/schreibt man das so ? ist, wie soll man dann von den "Unterschichten" (frei nach H.S.) erwarten, das diese so etwas wie Anstand entwickeln.

Vor einigen Jahren bekam ich auch von streikenden Fischern einen stinkenden Lachs gegen die Windschutzscheibe geknallt und die Fahrertür eingebeult. War mein Schaden, blieb er auch. Meine lieben franz. Freunde hatten für die Fischer aber ein großes Herz, bis ihnen ein streikender Bauer einen Strohballen auf das Autodach fallen ließ. Welche Empörung.


Bei allem Respekt. Da kann es mir gehen wie es will, anderer bzw. Unbeteiligter Leute Eigentum anzünden bzw. sonstigen Schaden zuzufügen rechtfertigt keine Strafttat.
gerdcb
Beiträge: 68
Registriert: Sonntag 2. November 2003, 20:11

Mittwoch 9. November 2005, 19:19

Jeder sollte sich an die eigene Nase packen. Denken nicht viele von uns:

"....ich habe doch gar nichts gegen Ausländer,.....aber bitt´schön nicht in der Nachbarschaft....."

Folge: Ghettoisierung.
Folge: Gewalt

Und dann der Schrei nach den denkbar unfähigsten Menschen:die Politiker, den Staat.

Jeder einzelne von uns ist verantwortlich.

Ich selbst bin übrigens auch fast immer Ausländer, außer in Deutschland.

gerdcb
textspecht
Beiträge: 548
Registriert: Dienstag 27. August 2002, 13:32
Wohnort: Ardèche Sud

Mittwoch 9. November 2005, 22:34

"Ich selbst bin übrigens auch fast immer Ausländer, außer in Deutschland." schrieb gerdcb.

Ohne jede Polemik: Messerscharf erkannt, aber darum geht es hier auch gar nicht. Denn eine sehr beachtliche Zahl der diskrimierten Personen aus den Ghettos (die ich keinesfalls mit den randalierenden Cliquen gleichsetze!) hat die französische Staatsangehörigkeit, spricht die Landessprache weitaus besser als ich, ist in diesem Land und seiner Kultur tiefer verwurzelt als ich, der erst vor drei Jahren mit einem deutschen EU-Paß und zwei großen Vorteilen eingewandert ist: Meine Hautfarbe ist weiß, und ich habe meine Existenzgrundlage mitgebracht bzw. hier selber geschaffen.

Was hier abläuft, erinnert mich teilweise an unselige Zeiten, als man (nicht nur) in Deutschland Mitbürger/innen gleicher Nationalität aufgrund von Herkunft, Glauben, Hautfarbe oder Rassengesetze ins grenzenlose Abseits schob. Damit meine ich nicht nur den Nationalsozialismus (der auch außerhalb Deutschlands willfährige Helfershelfer fand), sondern ebenso Geschehnisse der frz. Religionskriege und späterer Ereignisse.

Die vollmundigen Politiker-Erklärungen zu Integration und multikultureller Gesellschaft sind Müll, nicht recyclingfähiger Abfall.
Weite Kreise der Bevölkerung sind — in Frankreich wie in Deutschland und anderen Staaten — in Ghettos abgedrängt worden, aus denen es kaum ein Entkommen gibt. Auch wenn ein paar französische Spitzenfußballer nun mit Gruß an die Regierung das Gegenteil behaupten.
Diese Ghettos werden von genau jenen Gangs beherrscht, die nun die Flammen schüren. Gangsterbanden, die jede Frau, jedes Mädchen auf dem Weg von daheim zum Bus oder Einkauf fürchten muß. Gnadenlose Schläger, die auch anständige Männer und Jungen in ihre Dienste pressen. Kriminelle Vereinigungen, für die Bandendiebstahl, Überfälle, Erpressung, Prostitution und Rauschgifthandel zum Tagesgeschäft gehören.

In diesem Umfeld, in das sich längst kein Sozialarbeiter oder Polizist mehr hineintraut, mit "verstärkten Sozialprogrammen" zu antworten, beweist die komplette Unfähigkeit der Regierenden aller Ränge und Staaten, die Ursachen zu begreifen oder gar zu beseitigen.

Die einzige Möglichkeit besteht darin, die kriminellen Elemente zu isolieren und zugleich (!) bessere Bedingungen für die vielen bereitwilligen Menschen aus den Ghettos zu schaffen. Das aber ist nicht (nur) durch staatliche Maßnahmen zu erreichen, das verlangt nach breiter Solidarität in der Bevölkerung. Das bedeutet Arbeitsmöglichkeiten, Wohnungen und gute Schulen ohne Blick auf Herkunft, Hautfarbe etc. Nur so lassen sich das Bildungsniveau und die beruflichen Qualifikationen anheben.
Voraussetzung dafür ist aber, daß weitere Kreise der Gesellschaft ihre Vorbehalte ablegen. Denn nicht der Staat diskriminiert und ghettoisiert diese Menschen, sondern die Gesellschaft. Und das sind bekanntlich wir alle, jeder von uns höchstpersönlich!

Die Tatsache, daß in ländlichen Bereichen keine Gewalt und kein Haß aufkommen (obwohl auch hier oft ein sehr hoher Anteil an Menschen nordafrikanischer Herkunft lebt), zeigt doch unter dem Strich, daß Integration und gutes Zusammenleben möglich sind.

Ich bin weißgott kein Freund der bekannt rigiden Maßnahmen des CRS. Aber wenn es darum geht, die kriminellen Kräfte zu isolieren, um anständigen Menschen freien Lebensraum zu schaffen, sehe ich die Notwendigkeit zum unnachsichtigen Durchgreifen ein.
Es geht nicht an, daß ein Haufen Krimineller Abertausende andere Menschen in Mißkredit bringt und ein ganzes Land (oder mehrere...) zu terrorisieren versucht.

Heinz-Günter (Ardèche)
Uli Wenisch
Beiträge: 123
Registriert: Samstag 20. April 2002, 22:21
Wohnort: Oberpfalz/Aude

Donnerstag 10. November 2005, 00:13

Kann Heinz-Günter nur beipflichten.

Komme gerade aus Frankreich zurück und habe dort (im Süden) mit vielen "Einheimischen" über die derzeitige Situation diskutiert. Entweder es herrschte totale Ignoranz ("solange sie mein Auto nicht abfackeln, ist mir das wurscht") oder sie zeigten unverblümt ihre Vorurteile gegen die "Pieds noir", die ja keine richtigen Franzosen seien. Nur bei wenigen Gesprächen zeigte sich die Einsicht, dass man wohl in den vergangenen Jahren bzw. Jahrzehnten etwas falsch gemacht habe bzw. der Staat.

Heute habe ich im Internet ein ganz aufschlussreiches tagesschau-Interview mit Ulrich Wickert gelesen.

Hoffe, die Vernunft und die Menschlichkeit kehren bald wieder zurück in das Land, das wir alle so lieben.
Sonnige Grüße
Uli Wenisch
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